Vivianne
die Dame vom See
Einst, vor hunderten von Jahren, da begegnete Merlin, der Zauberer wohl dem schönsten Kind, das er jemals erblickt hatte. Da es "die Gabe" besaß, nahm er es unter seine Fittiche.
Das Mädchen, Vivianne hieß es, lernte fleißig, hatte jedoch auch ein klein bisschen Angst vor dem aufmerksamen Blick des Zauberers, der ihr galt. Sie spürte, dass er auf etwas wartete ...
Im erwachsenen Alter war die Schönheit des Mädchens vollendet. Sie war nun eine Frau - eine wahrhaftige Hexe.
Die Lehren Merlins hätten sie sehr weise machen können, wenn da nicht dieses unbehagliche Gefühl ihm gegenüber gewesen wäre.
Als Vivianne also in die Welt hinauszog, um ihr Glück zu finden, geschah genau das, was sie befürchtet hatte. Merlin wollte ihr folgen und sie begleiten.
Lästig wurde ihr der alte Knabe, der immer wieder Annäherungsversuche startete.
Und als sie ihn zum zigsten Mal abweisen musste, begann sie insgeheim einen Plan zu schmieden.
Auf einmal veränderte sich Viviannes Verhalten Merlin gegenüber und ging auf seine ewige Hofmacherei ein. Das Vertrauen, welches Merlin ihr schenkte, kannte keine Grenzen und es freute ihn, dass Vivianne ihm endlich Aufmerksamkeit schenkte.
Vivianne ging mit ihm in eine kleine Höhle im Unterholz, wo sie ungestört sein konnten.
Dort sang sie ihren ungeliebten Lehrmeister in den Schlaf, mit einer magischen Melodie, die er selbst ihr einst beigebracht hatte. Er sollte seine restliche Zeit unter den lebenden Toten verbringen.
Sie sperrte ihn ein, mit Genugtuung, weil er doch nur ein alter Narr gewesen war. Fast hätte sie ihn als Vaterersatz angesehen, aber nein, selbst das wäre schon zu viel des Guten gewesen.
Aber sie hatte das, was sie brauchte: Sein Wissen.
Doch manches Wissen ließ sich eben nur mit einem magischen Schwert anwenden, welches sich Excalibur nannte.
Es dauerte sehr lange, bis Vivianne wusste, wo das Schwert lag, genau so lange wie Merlin schlief und eines Tages nach einigen Jahrhunderten erwachte er wieder. Ironischer Weise war das Schwert Excalibur an jenem Tag verschwunden, als Merlin von Vivianne eingesperrt wurde. Sein Schicksal war eng mit dem des Schwertes verbunden.
Ehe Vivianne es aber in den Händen halten konnte, hatte ihr der alte Zauberer das Schwert vor der Nase weggeschnappt.
So gelangte das Schwert in den Besitz der Charis Hawkner und Merlin hoffte, als sein Lehrling das Land verließ, dass Vivianne sich dumm und dämlich suchen würde.
Vivianne jedoch kannte keine Ruhe und sie war nicht so dumm, wie Merlin es sich wünschte.
Sie setzte alle Hebel in Bewegung, ließ nichts unversucht, um Charis Hawkner die Reise zu erschweren, so dass sie letztendlich Morgan le Fay aufsuchte.
Morgan war einst ihr eigener Lehrling gewesen, aber nichts weiter als eine närrische Marionette.
Aber ihr Wille Vivianne zu helfen, wurde gebrochen.
Vivianne schaffte es nicht, die Verräterin zu bestrafen, da der Zauber eines anderen Magiers sie davon abhielt. Es war nicht Merlins Zauber, aber jemand anderes ...
Als sie letztendlich selbst das Land aufsuchte, in der Charis Hawkner und ihre Gefährten sich aufhielten, hatten diese bereits einen Plan sie auszuschalten, mit dem sie nicht rechnete ...
Sie traf Charis Hawkner alleine am See am Fuße eines Hawknerhügels. Das Schwert Excalibur lag in ihren Händen.
"Du willst das Schwert Excalibur?", fragte sie. "Dann hol es dir!"
Ohne Zögern warf Charis Hawkner das Schwert in den See, und wie besessen stürzte ihm Vivianne nach
- in die Falle.
Nach und nach tauchten an den Ufern des Gewässers die anderen fünf Magier der Gründung Hawkners auf und woben ein magisches Netz, eine Art Bannkreis um den See.
Währenddessen holte Charis Hawkner das Schwert mit einem einfachen Zauber zurück, ohne auch nur einen Tropfen abzubekommen, mittels eines einfachen Tauschzaubers.
Als Vivianne, natürlich unterhalb der Oberfläche des Sees, glaubte, das Schwert zu erreichen, hielt sie plötzlich einen Stiefel von Charis Hawkner in der Hand. Oh, wie groß war ihre Wut!
Doch nichtsdestotrotz, als Vivianne versuchte aufzutauchen, konnte sie es nicht!
So ertrank Vivianne, zwar auf makabere Art und Weise, aber die Grausamkeiten, die sie den anderen Menschen angetan hatte, waren um so vieles schlimmer gewesen.
Charis trennte sich vom Schwert Excalibur, da es ihr eigentlich nur Ärger gebracht hatte. In einem großem Findling mit eingezeichneten Runen steckt bis heute das Schwert bis zum Griff, damit es jeden daran erinnert, dass der See ein Gefängnis ist.
Denn Charis erkannte erst später, dass sie etwas nicht bedacht hatte. Dieser starke Bann, das Netz, was den Körper zurückgehalten hatte, würde auch die Seele der Dame vom See zurückhalten.
Der See war also zu einer Gefahr für alle Lehrlinge von Hawkner geworden und jedem Schüler ist es untersagt, dem Gewässer unterhalb des Schlosshügels zu Nahe zu kommen.
Und noch etwas hatte Charis nicht bedacht.
Ihr linker Stiefel war für immer verloren. Zuerst machte sie sich nichts daraus, aber ...
der andere Stiefel (ein richtiger Stinkstiefel) war so sauer, dass er zum Leben erwachte!
"Wie konntest du nur meinen Bruder in den See schmeißen!"
Seit diesem Tage begegnet man dem berühmten, einsamen Stiefel manchmal auf den Gängen von Hawkner, der deswegen so eine miese Laune hat.
Die Moral von der Geschicht: Die eine hat das Schwert, die andere nicht.
Dafür hat die eine den linken Stiefel, die andere den rechten.