Wahrsagen
Der Klassenraum war dunkel, nur mit ein paar Kerzen erleuchtet und du hattest dich vorsichtig zu deinen Mitschülern begeben. Das Krächzen einer Krähe, die auf der Lehne des Lehrersessels neben dem entzündeten Kamin saß, trieb jedem einzelnden Schüler einen Schauer über den Rücken. |
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"Willkommen zu der Wahrsagerei, Lehrlinge der Hawknerschule. Ich bin die Schulleiterin Prof. Adelrune und werde euch in Wahrsagerei unterrichten." |
Prof. Adelrune trat ins Licht des Kaminfeuers. Mit jedem Schritt war das Klocken ihres Gehstocks zu hören. Ihre Füße und ihr Umhang schlurften über den Boden und bei dem Buckel, den sie auf den Schultern trug, war das kein Wunder.
"Wie ich sehe, seid ihr zahlreich erschienen. Schön. Dann wollen wir auch gleich beginnen. Wer von euch weiß bereits etwas mit der Wahrsagerei anzufangen?" |
Die Klasse schwieg und niemand meldete sich. Alle waren gefangen von dem Anblick dieser Hexe, die aussah, als wäre sie aus einem Bilderbuch der Muggel entsprungen.
"Keiner von euch?!", fragte Prof. Adelrune und die Schüler zuckten zusammen. Die Krähe auf der Sessellehne krächzte, als wolle sie die Schüler dafür tadeln.
"Hmm, dann wollen wir doch ganz von vorne anfangen", sagte die Direktorin mit überraschend sanfter Stimme, doch das nur weil sie zu ihrem Pult ging und das Gefieder ihres Vogels tätschelte.
"Ich werde nun ein bisschen aus der Geschichte der Zauberei plaudern und da Prof. Rasengeier auf staubige Zahlen achten wird, statt auf das, was wirklich damals geschah, ist es kein Unding, wenn ich euch davon erzähle. Die Wahrsagerei also ..." Die Direktorin kicherte erneut, denn ihre Krähe hüpfte auf ihren kurzen Arm "... ist die zweifelhafteste Praxis der Geschichte unserer Kultur. Niemand, der kein wahrer Seher ist, weiß so recht, ob es das "innere Auge" oder auch das "zweite Gesicht" wirklich gibt. Alte Geschichten, bei denen schon zweifelhaft ist, ob sie jemals wirklich geschahen, erzählen von Menschen, deren Augen erblindeten, aber die trotzdem weiterhin sehen konnten, wie vorher. Sogar, wenn jemand hinter ihnen stand, erkannten sie ihn als alten Freund oder vielleicht auch Feind. Selbst dann, wenn sie diesen Menschen noch nie begegnet waren, sahen sie ihr Gegenüber gestochen scharf. Eine von diesen Geschichten ist die Geschichte von Methodius, einem griechischen Zauberer aus der Antike, der sich aus reiner Neugier einfach das Augenlicht nahm und so zu seinem zweiten Gesicht gelangte." |
Prof. Adelrune kicherte und setzte ihre Krähe wieder auf der Sessellehne ab.
"Danach lief er stets vor Heilern davon, der gute Methodius, weil er seine neu erworbenen Fähigkeiten auf der Stelle wieder verlieren würde, sollten sie ihm sein Augenlicht zurückgeben wollen ..." |
Prof. Adelrune blickte in der Klasse umher und lächelte schief.
Eine stille Erschrockenheit hatte sich ins Rückgrat der Klasse geschlichen.
Was soll das heißen?, dachtest du. Wollte sie damit sagen, dass du dein Augenlicht hergeben sollst?
"Aber sorgt euch nicht, ihr Lehrlinge von Hawkner. Das, was ihr hier in meinem Unterricht lernen werdet, betrifft die Hilfsmittel der Wahrsagerei und wie ihr mit ihnen umgehen könnt, so dass selbst die oder der Unbegabteste unter euch über den Tellerand hinausblicken kann. Keiner von euch wird sein Augenlicht verlieren - nicht in meinem Unterricht !" |
Erleichtert atmest du auf.
"Die Hilfsmittel, ... " setzte Prof. Adelrune fort " ... von denen ich rede, entstanden in der Zeit der Renaissance oder das altertümliche Wissen wurde zu dieser Zeit wieder aufgewärmt, als die Kirche der Muggel sich begann aufzuspalten. Die Hexen und Zauberer damals machten es sich einen Spaß daraus, die Muggel zu verwirren, noch unsicherer zu machen, als sie es ohnehin schon waren. Sie stellten ihnen Fragen wie ‚Was wäre wenn?' und die Prophezeihungen und Vorhersagen, die die Hexen und Zauberer damals zum Spaße gaben, waren meist nur Humbug oder übertrieben dargestellt. Heute ist es jeder Hexe oder jedem Zauberer untersagt, den Muggeln irgendetwas vorherzusagen." |
Prof. Adelrunes Vortrag endete, wie er begonnen hatte. Mit dem Lachen einer typischen, alten Hexe.
"Die Hausaufgaben ... Ich hoffe, ihr werdet zu meiner nächsten Unterrichtsstunde genauso zahlreich erscheinen, wie ihr es heute getan habt. Einen schönen Tag wünsche ich euch." |
Hausaufgaben bitte per Eulenpost an
HAHawkner@yahoo.de
schicken.
Bitte vergiss nicht Name und Haus zu erwähnen.
Mit mulmigen Gefühl verschlägt es dich zurück in das Klassenzimmer für Wahrsagerei, wo sich schon ein Teil deiner Mitschüler niedergelassen hatte. Sie alle warteten, auch wenn sie nicht besonders scharf auf den Unterricht bei Prof. Adelrune waren. Das Feuer im Kamin strahlte eine ungewöhnliche Helligkeit aus, so dass Kerzen nicht nötig waren. Diese Helligkeit wiegte deine Mitschüler offensichtlich in einer Art Sicherheit.
"Findest du nicht auch, dass sie der Märchenhexe aus Hänsel und Gretel ähnlich sieht?", flüsterte ein Mädchen ihrer Freundin kichernd zu, das wenigstens etwas wagemutiger war, als die anderen. Aber jeder wusste, dass sie nicht die hellste in ihrem Jahrgang war und so war man recht geteilter Meinung über ihre Aussage.
"Guten Morgen!"
Alle zuckten zusammen, als Prof. Adelrune wie aus dem Nichts in ihrem dunklen Klassenzimmer auftauchte. Selbst diejenige, die die Äußerung über die Märchenhexe wiedergegeben hatte, blieb auf einmal ganz mucksmäuschenstill.
Prof. Adelrune hatte wirklich etwas von einer Märchenhexe, dachtest du, aber tief in deinem Inneren spürtest du, dass sie noch eine ganze Ecke mehr drauf hatte.
"Ich bitte euch, alle eure Plätze einzunehmen. Ich brauche die Dunkelheit, um euch ein Bild aus der Geschichte der Zauberei, besser gesagt, aus einem Bereich, der an Sagen und Legenden grenzt, an die Wand zu projizieren. Mit diesem Bild will ich euch helfen, zu der Gegenwart der Zeit, der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft eine Stellung zu entwickeln, damit ihr später in der Wahrsagerei besser damit umgeht und nicht auf die Idee kommt, irgendwelche Zeitreisen zu unternehmen." |
Zeitreisen?, dachtest du. Das ist möglich?
Prof. Adelrune wandte euch ihren Buckel zu, der immer größer zu werden schien in letzter Zeit. Sie dämpfte die Flammen des Feuers mit ihrem Zauberstab, bis sie nur noch ganz klein und bläulich flackerten und kein Licht mehr spendeten. Sicher schlurfenden Schrittes begab sich die alte Hexe zu ihrem Pult, zumindest hörtest du ihren Umhang rascheln und ihren Gehstocks klocken. Dann war es still.
Plötzlich drang eine gleißende Helligkeit durch das gesamte Klassenzimmer. Als du wieder klar sehen konntest ohne geblendet zu werden, konntest du einen blendendweißen Lichtstrahl sehen, der an eine glatte Steinwand des Klassenzimmers projiziert wurde, wie Prof. Adelrune es angekündigt hatte.
"Ihr seht hier die mittelalterliche Darstellung eines Holzschnittes dreier Frauen, von rechts aus gesehen ein junges Mädchen, in der Mitte eine Frau mittleren Alters und ganz links eine alte Frau ... die Ähnlichkeit mit mir ist verblüffend nicht wahr? Eine Märchenhexe ..." |
Damit wandte sich Prof. Adelrune schmunzelnd an das Mädchen, das von ihr gesprochen hatte. Diese sackte mit dem Kopf so sehr in ihre Schultern ein, dass man glaubte, ihn verschwinden zu sehen.
"Dieser Holzschnitt stammt von damals, als man noch an den Lauf des Schicksals glaubte. Er stellt die drei sogenannten Nornen da, mythische Gestalten aus dem alten Aberglauben der Germanen, die die Namen Skuld, Verdani und Urd tragen. Hausaufgaben Ach, ja ... übrigens, wenn ihr nicht an die Existenz der drei Nornen aus der germanischen Mythologie glaubt, wieso gibt es dann in der griechischen Mythologie die drei Moiren? Oder in der römischen Mythologie, die drei Parzen?" |
Hausaufgaben bitte per Eulenpost an
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